Velostrassen
Erstellt am 01.12.2020
Sogenannte «Velostrassen» sind für das Velo optimierte Quartierstrassen und machen für Nutzerinnen und Nutzer eine sichere, komfortable und flüssige Fahrt abseits der Hauptachsen möglich. Bisher erschwerte in der Schweiz das Prinzip des Rechtsvortritts in Tempo-30-Zonen die Einrichtung solcher «Velostrassen». Am 1. Januar 2021 tritt eine Verordnungsänderung über Tempo-30-Zonen in Kraft. Diese ermöglicht zu Gunsten von Velorouten die Aufhebung von Rechtsvortritten in Tempo-30-Zonen. Das UVEK schafft damit die rechtliche Grundlage für «Velostrassen».
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Profil & Eckdaten
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Jährliche Betriebskosten
- gering (bis Fr. 5'000.-)
Investitionskosten
- gering (bis Fr. 10'000.-)
- mittel (bis Fr. 50'000.-)
Bemerkungen
Die Höhe der Investitionskosten hängt stark davon ab, wie pragmatisch die Stadt oder Gemeinde die Umsetzung einer Velostrasse angeht. Wird eine Velostrasse ohne grosse bauliche Eingriffe und Aufhebung oder Verschiebung von Parkplätzen umgesetzt, bewegen sich die Investitionen im tiefen vierstelligen Bereich.
Raumtyp
- Zentrum / Stadt
- Agglomeration
Gemeindegrösse
- 10'000 - 20'000 Einwohner
- > 20'000 Einwohner
Beispiele
Beispiel der Stadt Bern
Die Stadt Bern will ihren Veloverkehrsanteil von derzeit 11% bis ins Jahr 2030 auf mindestens 20% steigern. Die seit 2016 aktive Velooffensive sieht dafür verschiedene Massnahmen vor. Der wichtigste Bestandteil ist der Aufbau eines zusammenhängenden Routennetzes aus direkten, komfortablen und sicheren Veloverbindungen. Im Rahmen des vom Bundesamt für Strassen ASTRA lancierten Pilotversuchs Velostrassen testet die Stadt Bern seit 2016 an zwei Standorten dieses neue Verkehrsregime: zum einen an der Beundenfeld-/Militärstrasse im Breitenrain-Quartier, zum anderen auf der Erlach-/Freiestrasse im Länggass-Quartier. Beide Standorte waren bereits vor Einführung der Velostrasse Tempo-30-Zonen. Für ein attraktives und komfortables Vorankommen der VelofahrerInnen wurde auf den Strecken unter anderem der Rechtsvortritt aufgehoben. Die Stadt Bern erhoffte sich, auch auf Nebenstrassen durch Quartiere qualitativ hochwertige Velohauptrouten anbieten zu können. Diese Erwartung wurde durch die beiden Velostrassen erfüllt. Die Stadt Bern prüft und plant an 12 weiteren Standorten eine Velostrasse umzusetzen.
Beispiel der Gemeinde Aigle (VD)
Nicht nur in Grossstädten sind Velostrassen ein Thema. So hat im November 2020 die Gemeinde Aigle beschlossen Velostrassen einzuführen. Die Gemeinde hat dazu ein Mandat vergeben, das Anfang 2021 prüfen soll, wo in den zahlreichen Tempo-30-Zonen auf Gemeindeboden Velostrassen umsetzbar sind. Diese sollen dann bereits ab Sommer 2021 umgesetzt werden. Die Velostrassen bilden eine Massnahme des Velorichtplans, den die Gemeinde 2020 beschlossen hat. Mit deren raschen Umsetzung will die «Welthauptstadt des Velos» – Aigle ist Sitz des Radsportverbands (Union Cycliste Internationale UCI) – den Alltags-Veloverkehr fördern.
Beschreibung
Hintergrund
Eine wichtige Massnahme der Veloförderung ist die Schaffung von sicheren und komfortablen Velorouten in einem zusammenhängenden Netz. Hier besteht vielerorts ein Dilemma. Weder entlang von Verkehrsachsen mit hohem MIV-Aufkommen und knappen Platzverhältnissen, noch auf parallel verkehrsberuhigten Nebenstrassen ist eine schnelle, sichere und komfortable Veloführung machbar. Während in den Niederlanden und Deutschland «Fahrradstrassen» bereits in den 1980er- und 1990er-Jahren eingeführt wurden, waren sie in der Schweiz lediglich in Fachkreisen und in Gemeinden seit längerem ein Thema. Denn: Verkehrsberuhigte Quartierstrassen sind in Sachen Sicherheit ein Erfolgsmodell. Zwischen Beruhigungsmassnahmen und Rechtsvortritt und dem zügigen Vorankommen mit dem Velo kann jedoch ein Zielkonflikt bestehen. Genau hier setzt die Idee der Velostrasse an: Beruhigung ja, aber nicht zu Lasten der vorrangigen Veloführung. Die Einführung von Velostrassen in der Schweiz bedingte eine Anpassung der Verordnung des UVEK über die Tempo-30- und die Begegnungszonen und ebenfalls der Signalisationsverordnung (SSV).
Auf Anfrage einiger der grössten Schweizer Städte, lancierte das ASTRA 2016 den Pilotversuch Velostrassen. Während das Bundesamt die Federführung im Projekt innehielt, waren die Städte Basel, Bern, Luzern, St.Gallen und Zürich als Pilotstandorte für die infrastrukturellen Massnahmen und die Erhebung verantwortlich. Im Pilotbetrieb von 2016-2017 wurden in den fünf Städten insgesamt acht Velostrassen versuchsweise eingeführt. Gestützt auf die Ergebnisse im Pilotversuch und umfassenden Diskussionen mit Fachgremien und -verbänden hat das ASTRA das weitere Vorgehen beschlossen. Am 1. Januar 2021 tritt die Verordnungsänderung über Tempo-30-Zonen in Kraft. Das UVEK schafft damit die rechtliche Grundlage für Velostrassen.
Angebot
Velostrassen sind Quartierstrassen mit optimierter Veloführung und haben ein klares Ziel: die Förderung des Veloverkehrs. Velostrassen schöpfen dann ihr Potenzial aus, wenn sie am richtigen Ort gut umgesetzt werden. Die Grundidee ist dabei: Eine Velostrasse hat eine Durchgangsfunktion für den Veloverkehr, aber nur eine Erschliessungsfunktion für den MIV.
Eine ideale Velostrasse kann wie folgt beschrieben werden:
- Hohe Bedeutung für den Velodurchgangsverkehr (Teil des Hauptroutennetztes des Alltagsveloverkehrs)
- Untergeordnete Bedeutung für den motorisierten Verkehr (Erschliessungsfunktion)
- Wenige Zielkonflikte betr. Verkehrsberuhigung versus direkte und unterbruchsfreie Fahrt für den Veloverkehr
- Wenig Autoverkehr
- Viel (gebündelter) Veloverkehr (> 50 % Anteil am gesamten Verkehr)
- Koexistenz aller Fahrzeuge (keine Separierungen oder Längsmarkierungen)
- Separierung des Fussverkehrs
- Vortritt an Knoten
Auf juristischer Ebene ist die Velostrasse lediglich eine Tempo-30-Zone, entlang derer der Rechtsvortritt aufgehoben ist. Für die Stadt Bern ist die Velostrasse jedoch mehr. Sie erachtet das neue Verkehrsregime als Qualitätslabel und hat für ihre bestehenden und künftigen Velostrassen folgende Qualitätsmerkmale festgelegt:
- Die Velostrasse weisst einen Querschnitt von 4.80 Meter auf. Das ermöglicht das Kreuzen eines Personenwagens mit zwei nebeneinander fahrenden Velos.
- Entlang der Velostrasse gibt es keine Schrägparkierung. Auch beidseitige Parkplatzreihen sind tabu. Bei engen Platzverhältnissen behält sich die Stadt vor alle Parkplätze entlang der Velostrasse aufzulösen.
- Die Velostrassen werden mit grossen Velopiktogramm-Markierungen gekennzeichnet. Dies lässt die SSV ab dem 01.01.2021 explizit zu. Weitere umfassende Markierungen und Signalisationen prüft die Stadt Bern gegenwärtig.
Das Aufheben von Autoparkplätzen führt auch in Bern zu Diskussionen. Die Stadt geht hier umsichtig vor. Sie erhebt bspw. den Belegungsgrad der öffentlichen und privaten Parkplätze. So wird sichtbar, wo ein Überhang an privaten Parkplätzen die Auflösung von öffentlichen Parkplätzen auffangen kann. Die Mitwirkung der Bevölkerung hat in der Stadt Bern eine lange Tradition. Geplante verkehrliche Massnahmen, wie die Velostrasse, werden in der betroffenen Quartierkommission vorgestellt und diskutiert.
Eine Velostrasse ist Teilstrecke einer Velo(haupt)route und damit Teil des Velowegnetzes. Bestenfalls weisst die geplante Velostrasse heute schon einen hohen Veloanteil und wenig MIV auf. Ist der Modalsplit konträr, das Potenzial für eine Velostrasse auf der Strecke jedoch hoch, dann greift die Stadt Bern mit Massnahmen für eine MIV-Reduktion ein (bspw. Einführung Zubringerdienst). Die Lancierung einer Velostrasse nutzt die Stadt Bern auch für Verbesserungen für den Fussverkehr. Bauliche Massnahmen, wie eine Verbreiterung des Trottoirs, sind so denkbar.
Die Einführung von Velostrassen macht es möglich, besonders jene Nutzergruppen anzusprechen, welche bis anhin noch nicht mit dem Velo in der Stadt unterwegs waren. Aber auch Velopendler, bzw. generell «geübte» Velofahrende, profitieren von den komfortablen, sicheren und schnellen Routenverbindungen. Die Arbeiten für die Velostrassen teilen sich die Verkehrsplanung der Stadt Bern (Vorstudie, Planung) und das städtische Tiefbauamt (Ausführung und Markierungen).
Erfahrungen
Die Velostrasse wird dann zu einer attraktiven und sicheren Veloverbindung, wenn die dafür vorgesehene Strasse Teil einer wichtigen Alltagsroute des Veloverkehrs ist. Zudem muss sie funktional und räumlich geeignet sein, adäquat gestaltet und klar und verständlich geregelt werden. Negative Wirkungen, die in Einzelfällen erkennbar sind, sind mit ortsspezifischen massgeschneiderten Massnahmen anzugehen: Beruhigungsmassnahmen machen es bspw. möglich, überhöhte Geschwindigkeiten zu verhindern. Ein Fahrverbot oder eine Durchfahrtssperre unterbinden unerwünschten MIV-Mehrverkehr und eine geeignete Strassenraumgestaltung beugt Konflikten mit anderen Verkehrsteilnehmenden, insb. mit FussgängerInnen, vor.
Eine klare, möglichst einheitliche und gut erkennbare Markierung ist wichtig, um bei allen Verkehrsteilnehmenden ein Verständnis und die Bekanntheit für die Velostrasse zu erreichen. Die Akzeptanz für die Velostrasse wird mittels vorherigen Bedürfnisklärungen und bedarfsweiser Partizipation der Bevölkerung, guter Kommunikation und einer Erfolgskontrolle verbessert.
Wirkung
Umwelt und Energie
Jede Fahrt mit dem Velo verringert Beeinträchtigen, die bspw. der MIV mit Fahrzeuglärm, Abgase und Unfallpotenzial mit sich bringt. Attraktive Veloinfrastrukturen, wie die Velostrasse, sind eine wichtige Massnahme für die Veloförderung. Das kann zu einer Reduktion des MIV-Aufkommens führen. Nimmt der Veloverkehr zudem einen höheren Anteil am Modalsplit ein, können Autoparkplätze teilweise aufgehoben werden. Eine Aufwertung der Strassenräume, bspw. durch Grünflächen, wird damit möglich.
Gesellschaft
Velofahrende wirken sich positiv auf die Aufenthaltsqualität aus, trägt das Velo doch zu belebten und attraktiven Quartieren bei. Velostrassen sprechen auch jene Nutzergruppen an, welche heute noch nicht mit dem Velo unterwegs sind. Es gelingt so noch mehr Menschen, fast jeden Alters und aller sozialen Gruppen, zu ermöglichen von der individuellen und kostengünstigen Fortbewegung zu profitieren. Velofahren bedeutet zudem Bewegung, und ist damit eine aktive Vorsorge gegen Krankheiten wie Herzinfarkt und Diabetes.
Wirtschaft
Veloinfrastrukturen sind in Bau, Betrieb und Unterhalt meist kosteneffizienter als Infrastrukturen für andere Verkehrsmittel. Insbesondre Velostrassen können platzsparend und meist einfach umgesetzt werden. Sie weisen die höchste Wirtschaftlichkeit unter allen Veloführungstypen auf (bspw. verglichen mit Separationsansätzen wie Velostreifen oder -wege).
Werkzeugkasten
Vorgehen
1. Planung Verortung der Velostrasse
Die Velostrasse ist Teil des festgelegten
Velowegnetzes.
Die Velostrasse wird hauptsächlich als
Teilstrecke auf Velohauptrouten realisiert.
In der Regel werden Velostrassen in
bestehenden oder neuen Tempo-30-Zonen umgesetzt.
Auf der gewählten Strasse zirkuliert viel
Veloverkehr und wenig MIV.
2. Prüfung vorhandene Infrastruktur und ggf. Massnahmen planen
Strassenbreiten und Vortrittsverhältnisse
- Sicheres Kreuzen von MIV und Velo muss möglich sein (angestrebte Breite 4.50 … 5.00 m)
- Mindestens einseitiges durchgehendes Trottoir ist vorhanden
- Aufheben des Rechtsvortritts bei einmündenden Strassen
Sicherheit und Komfort für FussgängerInnen und Velofahrende
- FussgängerInnen und Velofahrende bewegen sich auf separaten Verkehrsflächen.
Sichtverhältnisse
- Keine Schräg- und Senkrechtparkierung
- Reduktion der Parkplätze bei Sichtbehinderung
3. Evtl. Partizipation Bevölkerung
Das Projekt Velostrasse wird in den betroffenen Quartieren vorgestellt und diskutiert:
- Wird die Einschätzung zur Verortung der Velostrasse durch die Stadt im Quartier geteilt?
- Welche spezifischen Punkte sind bei einer möglichen Einführung zu beachten?
- Gibt es weitere Strassen im Quartier, welche sich als Velostrassen eignen?
4. Realisierung Velostrasse
- Umsetzung beschlossene Massnahmen und Anbringen Bodenmarkierung durch Tiefbauamt
- Kommunikation an die Bevölkerung (Medienmitteilung und weitere Informationskanäle)
Finanzierung
Der Gemeinderat der Stadt Bern hat für die Umsetzung von fünf neuen sowie der Verbesserung und Erweiterung der zwei bestehenden Velostrassen einen Kredit von CHF 290'000 gesprochen. Damit werden Planungs- und Realisierungskosten, evtl. bauliche Massnahmen sowie die Kosten für Signalisation und Kommunikation bezahlt.
Marketing
Die Kommunikation spielt auf zwei Ebenen eine wichtige Rolle: Im Rahmen der Planung und Einführung der Velostrasse können Akzeptanzprobleme mittels Partizipation und Information abgefangen werden. So ist die Information und Diskussion in den Quartierkommissionen für die Stadt Bern selbstverständlich. Zur Eröffnung der Velostrasse bietet sich eine Medienmitteilung an. Längerfristige Kommunikationsmassnahmen können helfen, das Verständnis und die Bekanntheit für Velostrassen zu erhöhen.
Weitere Informationen
Weiterführende Links
- Medienmitteilung: Bundesrat verabschiedet neue Verkehrsregeln und Signalisationsvorschriften (Bundesamt für Strassen ASTRA, 20.05.2020)
- Pilotversuch Velostrassen in Basel (Kanton Basel-Stadt Mobilitätsplanung, Verkehrsinfrastruktur)
- Pilotversuch Velostrassen in der Stadt Luzern (Luzernmobil.ch)
- Medienmitteilung der Stadt Zürich zum Pilotversuch Velostrassen (Sicherheitsdepartement der Stadt Zürich, 05.02.2019)
Dokumente auf Deutsch
- Bericht Pilotversuch Velostrassen. Auswertung. (Bundesamt für Strassen ASTRA, 2018) [PDF, 19.95 MB]
- Faktenblatt Velostrassen («Fahrradstrassen»). Resultate der Pilotversuche in Schweizer Städten. (Bundesamt für Strassen ASTRA, 2019) [PDF, 561 KB]
- Dokumentation zum Online-Anlass «Freie Fahrt für Velostrassen & Co.» (Stadt Bern, 2020) [PDF, 836 KB]
- Flyer zum Pilotversuch Velostrasse in der Stadt St.Gallen (clemo, 2019) [PDF, 571.8 KB]
Dokumente auf Französisch
Kontaktadressen und Bezugsquellen:
Stadt Bern, Verkehrsplanung
Fachstelle Fuss- und Veloverkehr
Stephanie Stotz Simon
Effingerstrasse 19
CH-3018 Bern
Tel. 031 321 70 71
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