Nächtliche Strassenbeleuchtung: Herausforderungen für den Fussverkehr
Erstellt am 05.09.2023
Seit einigen Jahren gehen Schweizer Städte und Gemeinden dazu über, ihre nächtliche Strassenbeleuchtung zu reduzieren bzw. komplett abzuschalten, um vor Ort Lichtverschmutzung und Energieverbrauch zu verringern. Val-de-Ruz war eine der ersten Gemeinden, die diese Massnahme ergriffen hat. Bei diesem Ansatz stellt sich jedoch die heikle Frage der Beleuchtung des Fusswegenetzes und insbesondere der Fussgängerstreifen.
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Profil & Eckdaten
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Jährliche Betriebskosten
- gering (bis Fr. 5'000.-)
Investitionskosten
- hoch (ab Fr. 50'000.-)
Bemerkungen
Auch wenn die Investitionskosten relativ hoch sind, führt der reduzierte Energieverbrauch langfristig dennoch zu einer Senkung der Kosten.
Raumtyp
- Zentrum / Stadt
- Agglomeration
- Ländlich / Dorf
Gemeindegrösse
- < 5'000 Einwohner
- 5'000 - 10'000 Einwohner
- 10'000 - 20'000 Einwohner
- > 20'000 Einwohner
Beispiel
Gemeinde Val-de-Ruz (NE)
Die Gemeinde Val-de-Ruz im Kanton Neuenburg ist eine Vorreiterin, wenn es um die Thematik der Abschaltung der nächtlichen Strassenbeleuchtung geht. Sie war die grösste Schweizer Gemeinde, die mit Ausnahme des Bereichs der Fussgängerstreifen eine Abschaltung der öfffentlichen Beleuchtung im gesamten Gemeindegebiet vorgenommen hatte. Auf Verlangen des Kantonalen Tiefbauamts (TBA) müssen die Fussgängerstreifen aus Sicherheitsgründen beleuchtet bleiben. Der Gemeinderat verfolgt langfristig das Ziel, Bewegungsmelder an den Masten zur Beleuchtung der Fussgängerstreifen anzubringen.
Val-de-Ruz fungierte hier als Impulsgeberin in der Region, wobei im Zuge der Energiekrise nahezu alle Gemeinden des Kantons Neuenburg eine Abschalt-Politik eingeführt haben. Aufgrund ihrer städtischen Struktur hat die Stadt Neuenburg differenziertere Massnahmen ergriffen: Sowohl das Stadtzentrum als auch die Hauptachsen sind aus Gründen der Sicherheit, der Erreichbarkeit und aufgrund von Kulturveranstaltungen von der allgemeinen Abschaltung der Beleuchtung zwischen Mitternacht und 5 Uhr morgens ausgenommen, während alle anderen Lichtmasten im Strassenverkehr komplett abgeschalten werden. Der Zeitpunkt des Beginns der Abschaltung (1 Uhr morgens) wurde in Abstimmung mit dem Busfahrplan gewählt.
Beschreibung
Hintergrund
Val-de-Ruz ist eine ländliche Gemeinde mit 17'000 Einwohnerinnen und Einwohnern, die am 1. Januar 2013 infolge der Zusammenlegung von 15 Dörfern entstand. Sie befindet sich zwischen den beiden urbanen Zentren des Kantons, Neuenburg und La Chaux-de-Fonds, und verzeichnet ein anhaltendes Bevölkerungswachstum, sieht sich zugleich jedoch auch mit Problemen im Zusammenhang mit dem Stadtverkehr konfrontiert.
Das Projekt der Nachtabschaltung der öffentlichen Beleuchtung ist Teil des Legislaturprogramms des Gemeinderats von Val-de-Ruz (Kommunaler Energieplan) mit Schwerpunkten in den Bereichen nachhaltige Entwicklung und Energieeinsparungen. Ab 2012 hat die Gemeinde ihre nächtliche Strassenbeleuchtung bereits um 50 % reduziert. Seit 2019 ist Val-de-Ruz allerorts zwischen Mitternacht und 4.45 Uhr unbeleuchtet. Trotz einiger Widerstände und Diskussionen mit Benutzerinnen und Benutzern (vor allem Jugendliche) beschloss der Gemeinderat die Abschaltung der Strassenbeleuchtung vor Ankunft des letzten Busses. Vor dem Hintergrund der Energiekrise konnte der Zeitraum im Winter 2022-2023 auf 23.00 bis à 6.00 Uhr ausgedehnt werden.
Zielkonflikt
Die Frage der Beleuchtung von Fussgängerstreifen ist einer der heikelsten Punkte, mit denen sich Gebietskörperschaften im Rahmen ihrer Bemühungen zur Vermeidung unnötiger Nachtbeleuchtung auseinandersetzen müssen. Für Fussgänger bringt das Überqueren einer Strasse wesentliche sicherheitsrelevante Aspekte mit sich. In der Schweiz besagen die Norm VSS 40 241 und die Richtlinie SLG 202, dass dem Fahrzeuglenker die erforderliche Mindestsichtweite zur Verfügung stehen muss, um rechtzeitig anhalten und somit die gefahrlose Querung durch Fussgänger sicherstellen zu können. Nachts sind die Sichtverhältnisse jedoch schlechter und auch die Reichweite der Abblendlichter der Fahrzeuge ist unter bestimmten Umständen (dunkle Kleidung, Wetterbedingungen, Scheinwerfer aus entgegengesetzter Richtung etc.) unzureichend.
Aufgrund verschiedener Anfragen der Gemeinden hat der Staatsrat des Kantons Neuenburg eine rechtliche Analyse zum Thema der Beleuchtung der Fussgängerstreifen veranlasst. Aus dem Rechtsgutachten (Dr. C. Müller, Rechtswissenschaftliche Fakultät der Universität Neuenburg) geht hervor, dass trotz Fehlens eines Bundesgesetzes hinsichtlich der Verpflichtung zur Beleuchtung der Fussgängerstreifen die Kommunalbehörde im Schadensfall haftbar ist. Ausserdem sind die Gemeinden angehalten, die der Beleuchtung der Fussgängerstreifen dienenden Lampen eingeschaltet zu lassen. Ausnahmen hiervon bilden spezifische Ansuchen in Einzelfällen betreffend Strassen mit niedrigem Verkehrsaufkommen bzw. begrenzter Anzahl von Fahrzeugen. Die Stadt Neuenburg hat beispielsweise die Beleuchtung der Fussgängerstreifen im Bereich von Schulwegen mit Tempo 30 abgeschaltet. Der technologische Fortschritt wird vermutlich zu einer weiteren Feinabstimmung der Beleuchtungszeiten auf Basis der identifizierten spezifischen Bedürfnisse führen. Angesichts des drohenden Stromengpasses im Winter 2022-2023 erliess der Staatsrat eine befristete Anordnung (gültig bis April 2023), welche den Gemeinden in Abweichung von Art. 26 des Ausführungsreglements des Strassen- und Wegegesetzes (RELRVP) die Abschaltung der Beleuchtung der Fussgängerstreifen erlaubt.
Erfahrungen
Die Bevölkerung von Val-de-Ruz zeigte sich zum Zeitpunkt der Änderung eher sehr zurückhaltend und hatte einige Bedenken, die sich vor allem auf die Sicherheit der Jugendlichen bezogen, die an den Wochenenden meist spät nach Hause zurückkehren. Sensibilisierung und Kommunikation im Zusammenhang mit der Thematik erfolgten anhand von verschiedenen Veranstaltungen und des Starts des Regionalprojekts «Wilde Nachbarn». Die Bevölkerung konnte durch die Meldung persönlicher Beobachtungen mehr über die Anwesenheit von Wildtieren in unserer nächsten Umgebung erfahren. Das Projekt der Nachtabschaltung wurde seitens der Bevölkerung schliesslich mit Begeisterung angenommen. In Neuenburg forderten die Einwohnerinnen und Einwohner tendenziell sogar weitere Abschaltmassnahmen.
Wirkung
Umwelt und Energie
Die Verringerung der Lichtverschmutzung trug zur Verbesserung der Lebensbedingungen von Wildtieren bei und führte zu einem neuerlichen vermehrten Auftreten derselben. Es gab diesbezüglich zahlreiche Zählungen und Beobachtungen. Die Gemeinde Val-de-Ruz verzeichnete Energieeinsparungen der Grössenordnung um die 173'000 kWh/Jahr, das entspricht einer 40 %igen Abnahme des Stromverbrauchs.
Gesellschaft
Diese Massnahmen haben generell zu einer Verbesserung der Lebensqualität der Bevölkerung geführt, wobei insbesondere die Qualität des Schlafs erhöht werden konnte. Das sichere Queren der Strassen wird über die während der ganzen Nacht eingeschaltete Beleuchtung der Fussgängerstreifen gewährleistet. Diese Vorkehrung wird indirekt durch eine Senkung der Durchschnittsgeschwindigkeit der Fahrzeuge um 10 % verstärkt. Die Ortspolizei hat alle Diebstähle verzeichnet und konnte hier keine Zunahme feststellen. Allerdings ist anzumerken, dass die genannten Auswirkungen einen ländlichen Raum betreffen, in dem nächtliche Aktivitäten und Reisebewegungen gering sind.
Wirtschaft
Dank dieser Massnahmen konnten Stromeinsparungen im Ausmass von rund 34'000 CHF pro Jahr erzielt werden. Die Montage von Bewegungsmeldern im Bereich der Fussgängerstreifen musste aufgrund der zu hohen Kosten (620'000 CHF) verworfen werden. Angesichts des technologischen Fortschritts wird die Modernisierung dieser Beleuchtung jedoch in Zukunft zweifellos durchgeführt werden können.
Werkzeugkasten
Vorgehen
Die Gemeinde Val-de-Ruz konnte sich auf die Expertise und das technische Know-how ihres Partners, der E AG, stützen. Dieser hat etwa 700 LED-Leuchten derart umprogrammiert, dass sie sich zwischen Mitternacht und 4.45 Uhr ausschalten, wobei die Beleuchtung im Bereich der 76 Fussgängerstreifen beibehalten wird. Im Zuge der Arbeiten wurde auch der Modernisierungsbedarf bei den Leuchtmitteln gedeckt.
Projektschritte:
- 2012-2013: Reduzierung der nächtlichen Strassenbeleuchtung um 50 %
- Oktober 2017: Organisation einer «Fête de la Nuit»
- 2017-2018: 6-monatige Testphase im Dorf Fontaines – verkehrsspezifische Massnahmen und Geschwindigkeitsbeschränkungen
- Sommer 2018: Umfrage innerhalb der Bevölkerung, Befürwortung seitens 85 %
- November 2018: Gemeinderat nimmt das Projekt der Nachtabschaltung der öffentlichen Beleuchtung in Val-de-Ruz an
- 2019-2020: Studie und Durchführung der Arbeiten in den einzelnen Orten
- 14. August 2020: Abschaltung der Nachtbeleuchtung in allen Orten von Val-de-Ruz zwischen Mitternacht und 4.45 Uhr
- Winter 2022-2023: Ausdehnung des Zeitraums von 23.00 bis 06.00 Uhr im Zusammenhang mit der Energiekrise
Finanzierung
Kosten der Nachtabschaltung in Val-de-Ruz: 170'000 CHF. Berücksichtigt werden müssen hier auch die Wartungsarbeiten am Netz, das sich nicht im besten Zustand befand. Insbesondere musste das Leuchtensystem angepasst werden, um die Beleuchtung der Fussgängerstreifen aufrechtzuerhalten.
Weitere Informationen
Empfehlungen
- Um die Sicherheit und Attraktivität des Zufussgehens zu gewährleisten, müssen die Gemeinden für die effiziente und qualitativ hochwertige Beleuchtung ihres Fusswegenetzes sorgen.
- Für Fussgänger erfüllt die öffentliche Beleuchtung beim Überqueren der Strasse ein Sicherheitsbedürfnis und fördert zugleich das Sicherheitsempfinden. Die vollständige oder teilweise Abschaltung ist demnach nur zu befürworten, wenn diese die Sicherheit der Fussgänger nicht beeinträchtigt.
- In allen Fällen, in denen nachts mit der Anwesenheit von Fussgängerinnen und Fussgängern zu rechnen ist, ist die Beleuchtung aufrechtzuerhalten, möglicherweise mit Ausnahme sehr kleiner Gemeinden.
- Die Abschaffung der Fussgängerstreifen infolge der Abschaltung der Beleuchtung ist allerdings nicht ratsam.
- Die Einbeziehung der Bevölkerung (Besichtigungen, Befragungen etc.) in die Projektplanung ist von grundlegender Bedeutung.
Zur Reduzierung der Beleuchtung ohne Einbussen beim Thema Sicherheit können die Behörden folgende Lösungen in Erwägung ziehen:
- Ausstattung der Leuchten an den Fussgängerstreifen mit Bewegungsmeldern in stark frequentierten Zonen
- Beibehaltung der Beleuchtung an bestimmten Achsen bzw. bestimmten Passagen
- Modernisierung der Leuchtmittel anhand eines individuell anpassbaren Systems
Folgende substanziellere Schritte erleichtern die Nachtabschaltung der Beleuchtung:
- Nächtliche Schliessung der Strasse für den Verkehr (Bsp. manuell herausnehmbarer Poller in der Neubrückstrasse in Bern)
- Einführung einer systematischen nächtlichen Geschwindigkeitsbegrenzung auf 30 km/h (Bsp. Stadtgebiet Lausanne)
Weiterführende Links
- Val-de-Ruz: Nachtabschaltung der öffentlichen Beleuchtung (fr)
- Projekt «Val-de-Nuit» (fr)
- Stadt Neuenburg: Programm Nachtabschaltung (fr)
- Stadt Neuenburg: Bericht des Gemeinderates an das Gemeindeparlament betreffend Lichtverschmutzung und Energieverschwendung aufgrund der Nachtbeleuchtung (in Beantwortung von zwei Motionen, 11.04.2022, fr)
- Kanton Neuenburg: Bericht 19.024 des Staatsrats an den Grossen Rat vom 21.08.2019 - Rechtsgutachten (fr)
- Kanton Neuenburg: befristete Anordnung des Staatsrats (2023, fr)
- Kanton Neuenburg: Ausführungsreglements des Strassen- und Wegegesetzes (RELRVP, fr)
- Norm VSS 640 241 «Querungen für den Fussgänger- und leichten Zweiradverkehr»
- Richtlinie SLG 202 «Richtlinien – Öffentliche Beleuchtung» (Schweizer Licht Gesellschaft)
- BAFU: Empfehlungen zur Vermeidung von Lichtemissionen (2021)
Dokumente auf Französisch
Kontaktadressen und Bezugsquellen
Fussverkehr Schweiz
Flore Maret, Projektleiterin
Klosbachstrasse 48
CH-8032 Zürich
Tel. 043 488 40 34
Gemeinde Val-de-Ruz
Hr. François Cuche
Rue de l’Épervier 6
CH-2053 Cernier
Stadt Neuenburg
Pierre-Olivier Aragno
Delegierter für Umwelt und nachhaltige Entwicklung
Faubourg du Lac 3
CH-2000 Neuenburg
Fragen Sie auch die Vertreter von Mobilservice Praxis Ihres Kantons um Rat.
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