Zu Fuss und per Velo zum ÖV: Neugestaltung des Bahnhofs Jona
Erstellt am 26.10.2020
Damit mehr Leute vom Auto auf den öffentlichen Verkehr umsteigen, braucht es attraktive und gut zugängliche Haltestellen. Denn die erste und letzte Meile zum öffentlichen Verkehr wird meist zu Fuss oder mit dem Velo zurückgelegt. Multimodale Mobilität ist ein Trend, der in Zukunft noch an Bedeutung gewinnen wird. Einladende, gut zugängliche Haltestellen, die optimal im Siedlungsgebiet eingebettet sind und verschiedene Mobilitätsformen kombinieren, stärken daher den öffentlichen Verkehr und somit eine nachhaltige Mobilität.
Online Version: https://www.mobilservice.ch/de/2434.html
Profil & Eckdaten
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Investitionskosten
- hoch (ab Fr. 50'000.-)
Jährliche Betriebskosten
- hoch (ab Fr. 20'000.-)
Bemerkungen
Die Betriebskosten (Reinigung, Abfallbeseitigung, Energie, Lift etc.) sind heute rund 55‘000 CHF höher als vor dem Umbau. Dies vor allem durch die tägliche Reinigung der öffentlichen WC-Anlage, sowie dem erhöhten Strombedarf in der Tiefgarage, Liftanlagen usw.)
Raumtyp
- Zentrum / Stadt
- Agglomeration
- Ländlich / Dorf
Gemeindegrösse
- > 20'000 Einwohner
Beispiel
Neugestaltung Bahnhof Jona
Der Bahnhof Jona ist über das Zürcher S-Bahn-Netz im Viertelstundentakt an Zürich und Rapperswil angebunden. 2004 erarbeitete die Stadt Rapperswil-Jona einen Masterplan Verkehr. Die Neugestaltung des Bahnhofs Jona ist Teil dieser Masterplanung. Ziel waren neben einer besseren Anbindung des lokalen und regionalen Busnetzes auch die Schaffung attraktiver Zugänge für Fussgänger*innen und Velofahrende, die Verbesserung der Umsteigesituation für Nutzer*innen des öffentlichen Verkehrs sowie die bauliche Integration des Bushofs in den städtebaulichen Kontext. Die anspruchsvolle Aufgabenstellung wurde Anfang 2008 in einem Wettbewerb ausgeschrieben. Das Siegerprojekt wurde in der Folge weiter bearbeitet in Zusammenarbeit mit der Stadt, dem Kanton, den SBB und den Verkehrsbetrieben Zürichsee und Oberland VZO. Im Frühling 2015 wurde der neu gestaltete Bahnhof eröffnet. Seither hat der durchschnittliche tägliche Verkehr am Bahnhof Jona weiter zugenommen von 4’593 Ein- und Aussteiger*innen im Jahr 2014 zu 5’163 im Jahr 2018.
Beschreibung
Hintergrund
Verkehr ist seit Jahrzehnten ein gewichtiges Thema in der Stadt Rapperswil-Jona. Die Förderung von Fuss- und Veloverkehr sowie der Ausbau des öffentlichen Verkehrs sind deshalb zwei wichtige Anliegen, um das Verkehrssystem am Funktionieren zu halten. Der Bahnhof Jona ist als Knotenpunkt für den lokalen wie auch für den regionalen Bus- und Bahnverkehr von zentraler Bedeutung. Die Zürcher S-Bahnlinien S15 und S5 verbinden Jona mit Zürich und Rapperswil. Verschiedene Linien der Stadtbusse bedienen die Quartiere im Halbstundentakt. Die Anbindung an die regionale Buslinie nach Eschenbach – Wattwil erfolgt etwas entfernt ab der Haltestelle an der St. Gallerstrasse. Um der Funktion als attraktiver und gut zugänglicher öV-Umsteigepunkt besser gerecht werden zu können, lancierte die Stadt Rapperswil-Jona 2008 einen Wettbewerb zur Neugestaltung des Bahnhofs Jona.
Angebot
Das Siegerprojekt des Wettbewerbs heisst „Albatros“. Entsprechend ist ein gemeinsames Dach für Bahnperron und Bushof das Kernstück des Vorhabens. Es erinnert an Flügel des Albatros und bildet die Schnittstelle zwischen Bus- und Bahnbetrieb. Der Fahrgast hat stets Sichtbeziehungen zu allen Verkehrsmitteln. Da die Bahngeleise erhöht sind, ergibt sich eine ebenerdige Personenpassage. Diese wurde von 4 auf 7 Meter verbreitert und angepasst, so dass diese nun für den Fuss- und Veloverkehr komfortabel und sicher ist.
Die etwas abseits liegenden Haltestellen der regionalen Buslinien an der St. Gallerstrasse und die an den Bahnhofsplatz angrenzenden neuen Baukuben sind gut in das Gesamtkonzept eingebunden. Einerseits ist zwischen Bahnperron und Bushaltestelle eine direkte und offen gestaltete Fusswegverbindung über den Bahnhofsplatz möglich. Andererseits sind die Bauten mit mehreren Durchlässen für den Fuss- und Veloverkehr angeordnet. Dies ermöglicht den Fahrgästen eine selbstverständliche Orientierung, die durch elektronische Abfahrtsanzeigetafeln zusätzlich erleichtert wird. Die Fusswegbeziehungen zwischen dem Bushof und den Bahnperrons sind kurz und direkt und werden nicht durch den MIV tangiert. Der hindernisfreie Zugang zu den Perrons ist für mobilitätseingeschränkte Personen über eine Liftanlage und alternativ über Rampen gewährleistet.
Überhaupt ist der Bahnhof Jona für den Fuss- und Veloverkehr aus allen Richtungen gut und auf weitgehend motorfahrzeugbefreiten Verbindungen erreichbar:
- Die Fuss- und Velowegverbindung entlang der
Bahngeleise sowie die beiden motorfahrzeugfreien Überführungen über die St. Gallerstrasse
binden die südlich des Bahnhofs gelegenen Quartiere an.
- Die Schlüsselstrasse – im Bahnhofsbereich ein Fuss- und Veloweg – sowie die Wegverbindung Grünfels erschliessen die westlich des Bahnhofs gelegenen Quartiere.
- Die verkehrsberuhigte Bühlstrasse und verschiedene Durchlässe zwischen den neuen Bauten stellen die Verbindung Richtung Osten und zum Zentrum von Jona her.
- Die nach Norden führende Wegverbindung entlang der Bahngleise inkl. Unterführung im Bereich des Altersheims komplettiert die attraktive Erschliessung für den Fuss- und Veloverkehr.
Die Busanlegekanten sind auf die Wenderadien der Fahrzeuggrössen ausgelegt. Bei der Planung wurden auch künftige Bedürfnisse des Busverkehrs berücksichtigt und alle Haltstellen sind mit 16 cm hoher Haltekante realisiert, was gemäss den damals gültigen Standards als behindertengerecht galt.
Das Angebot an Veloabstellplätzen wurde deutlich ausgebaut. Insgesamt stehen 360 kostenlose und gedeckte Veloabstellplätze zur Verfügung. Ausserdem gibt es 134 kostenpflichtige Abstellplätze in der Velostation, die unter dem ostseitigen Perron liegt. Die Velostation wird vom WTL (Werk- und Technologiezentrum Linthgebiet) betrieben und umfasst auch eine Werkstatt für Reparaturen und Wartungen, einen kleinen Laden, eine Cargobike-Vermietung, eine Herzrouten-Station mit E-Bike-Vermietung sowie einen Velo-Hauslieferdienst. Unter dem Bahnhofplatz liegt das öffentliche Parkhaus mit 70 Autoabstellplätzen, wovon 2 Plätze direkt neben dem Lift als Behindertenparkplätze ausgestaltet sind.
Erfahrungen
Die Umgestaltung des Bahn- und Bushofs war ein komplexes Projekt. Durch die Einbindung der verschiedenen Beteiligten (Stadt, SBB, Architekturbüro und diverse Fachplaner*innen) in die Projektorganisation war der Informationsfluss immer gewährleistet. Dies war vor allem auch wichtig, da verschiedene Teilprojekte (Tiefgarage, Perronzugänge, behindertengerechte Erhöhung der Perrons, Ausbau Bühlstrasse usw.) gleichzeitig realisiert wurden. Während der Bauausführungen waren die dauernde Aufrechterhaltung der Zugänge zu den Perrons und auch die Unterquerung der Gleisanlagen sehr anspruchsvoll.
Mit dem Bahnhofbau wurden die bestehenden Fusswege verbreitert und zusätzliche neue Wegverbindungen zu den Perrons geschaffen, was sich sehr positiv auf den Fussverkehr ausgewirkt hat. Durch die Wahl von hochwertigen Baumaterialien sind die Unterhaltsarbeiten bisher in einem bescheidenden Umfang geblieben.
Als Fazit lässt sich sagen, dass es sich gelohnt hat, auf eine hochwertige Gestaltung und grosszügige, zukunftsfähige Lösungen zu setzen, beispielsweise bei der Gestaltung der Unterführung.
Wirkung
Umwelt und Energie
Der neue Bahn- und Bushof Jona ist aus allen Richtungen mit Fuss- und Velowegverbindungen attraktiv an die umliegenden Quartiere und an das Zentrum von Jona angebunden. Insgesamt resultierte sowohl städtebaulich als auch für das ÖV-System eine markante Attraktivitätssteigerung. Der durchschnittliche tägliche Verkehr am Bahnhof Jona hat seit der Eröffnung im Jahr 2015 zugenommen von 4’593 Ein- und Aussteiger*innen im Jahr 2014 zu 5’163 im Jahr 2018. Die öffentlichen Parkplätze am Bahnhof Jona werden täglich als P+R-Parkplätze benützt. Westseitig des Bahnhofs entstanden grosse naturnahe Blumenwiesen.
Gesellschaft
Die Neugestaltung des Bahnhofs Jona ist ein zentrales Stadtentwicklungsprojekt. Es gibt dem Stadtteil Jona ein Gesicht, wirkt einladend und schafft zusammen mit der neu gestalteten Bühlstrasse und der Bühlpark-Überbauung auch eine Verbindung zum Zentrum Jona. Sämtliche Anlagen wurden behindertengerecht erstellt. Wo dies mit Rampen nicht möglich war, gibt es Liftanlagen. Die Betreiberin der Velostation integriert stellenlose Menschen in den Arbeitsmarkt.
Wirtschaft
Dank dem in die Stadt integrierten Bahnhof und den hervorragenden Verbindungen des S-Bahnsystems begünstigt der Bahnhof Jona die Ansiedlung von internationalen Dienstleistungsbetrieben in unmittelbarer Nähe. Die kantonale Wirtschaftsförderung hat zusammen mit der St. Galler Pensionskasse das neue Bürogebäude CUBE realisiert. Auch in der am Bahnhofplatz entstandenen Bühlpark-Überbauung haben sich viele Firmen und Betriebe eingemietet.
Werkzeugkasten
Vorgehen
Bereits im Masterplan Verkehr aus dem Jahr 2004 wurde der Bedarf für die Neugestaltung des Bahnhofs Jona formuliert. Die SBB haben die Stadt zudem aufgefordert, die ungenügende Perronhöhe auf die hindernisfreie Höhe von 55 cm zu erhöhen. Zusammen mit weiteren ungenügenden Zugänglichkeiten zu den Perronanlagen hat dies die Stadt Rapperswil-Jona bewogen, den Ausbau des Bahnhofs Jona zu starten.
Nachfolgend die Zeitachse der konkreten Umsetzung:
- 2008: Die Stadt Rapperswil-Jona schreibt den Projektwettbewerb aus. Aus 22 Bewerbungen geht das Projekt «Albatros» der Arbeitsgemeinschaft Margreth Blumer und Oliver Schwarz Architekten aus Zürich einstimmig als Sieger hervor. Der ausgezeichnete Vorschlag wurde in der Folge weiter bearbeitet in Zusammenarbeit mit der Stadt, dem Kanton, den SBB und den Verkehrsbetrieben Zürichsee und Oberland VZO.
- 2012: Die Bevölkerung von Rapperswil-Jona stimmt dem Baukredit zu.
- 2013-2015: Umbauphase
- 2015: Eröffnung
Finanzierung
Das Gesamtprojekt kostete rund 22.6 Mio. Franken. Die Stadt Rapperswil-Jona steuerte rund 21.4 Millionen bei. Die restliche Finanzierung von 1.2 Mio. Franken wurde durch das 4. ÖV-Programm des Kantons St. Gallen gedeckt.
Marketing
Parallel zum Neubau des Bahn- und Bushofes wurde das Stadtbus-Marketing mit der mehrjährigen TSCHTAU SCHTAU-Kampagne gestartet. Am Einweihungsfest für den neuen Bahn- und Bushof Jona wurde ein grosser Stau aus Schoggikuchen-Autos gebildet. Wer ein Busbillett vorweisen konnte, durfte eines essen und so den Stau ein wenig kürzer machen. Die Kampagne der Verkehrsbetriebe Zürichsee und Oberland VZO läuft seit 2012, jedes Jahr mit neuen Aktionen. Sie ist in Rapperswil-Jona sehr populär und hat viel zur Bekanntheit und Attraktivität des Stadtbus-Angebots beigetragen.
Weitere Informationen
Dokumente auf Deutsch
- Bericht über die Genehmigung des Bauprojekts für die Neugestaltung von Bahnhof und Bushof Jona (Stadt Rapperswil-Jona, 2012) [PDF, 177.3 KB]
- Praxisbeispiel über das Werk- und Technologiezentrum Linthgebiet, die Betreiberin der Velostation (Kompetenzzentrum Fuss- und Veloverkehr, 2017) [PDF, 989.9 KB]
- Empfehlungen/Broschüre «Attraktive und gut zugängliche Bushaltestellen» (Kanton St.Gallen, 2019) [PDF, 31.89 MB]
Kontaktadressen
Stadt Rapperswil-Jona
Bau, Liegenschaften
St. Gallerstrasse 40
CH-8645 Jona
Tel. 055 225 70 10
Kanton St. Gallen
Amt für öffentlichen Verkehr
Markus Schait
Davidstrasse 35
CH-9001 St. Gallen
Tel.
058
229 59 03
Kanton St. Gallen
Tiefbauamt, Fachstelle Fuss- und Veloverkehr
Daniel Schöbi
Lämmlisbrunnenstrasse 54
CH-9001 St. Gallen
Tel. 058 229 31 50
Fragen Sie auch die Vertreter*innen von Mobilservice Praxis Ihres Kantons um Rat.
Verantwortlich für die Ausarbeitung dieses Praxis Beispiels:
Kanton St. Gallen
Amt für öffentlichen Verkehr
Davidstrasse 35
CH-9001 St. Gallen
Tel. 058 229 34 88